DER ERARBEITETE TRAUM
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Wie ein St. Galler Jungspund auszog, um das Eigene zu suchen, wo er es fand und wer ihm dabei half. Das ist eine Vater-Sohn-Geschichte, jene einer Zigarre und eine darüber, warum das Sprichwort «Ohne Fleiss kein Preis» seine Richtigkeit hat. Die Brun del Re aus Costa Rica.
DAVID HÖNER
Vor dreissig Jahren wurde der St. Galler Bauunternehmer Rolf Corazza auf der Fahrt vom Flughafen San Jose in Costa Rica in einem kleinen Suzuki Jeep gründlich durchgeschüttelt. Die Fahrt an die Küste dauerte acht Stunden, und als er dann auf seinem neuerworbenen Besitz stand, hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Doch die Beziehung zu dem kleinen Land in Mittelamerika sollte sich fruchtbar entwickeln und ist heute lebendiger denn je. Wie das kam? Das ist eine jener Erfolgsgeschichten, die das Leben manchmal schreibt.
Während sich Vater Corazza und seine Brüder im Baugeschäft in der Schweiz einen Namen und ein kleines Vermögen erarbeiten, studierte der Sohn Carlo erst einmal Wirtschaft. Aber nicht etwa an der St. Gallischen Hochschule. Er ging nach Neuenburg, lernte die französischen Wörter für Bilanz, Produktion und Verlust oder Gewinn und entwickelte eine Leidenschaft für edle Uhren. Der Weg ins väterliche Geschäft schien vorgezeichnet. Aber der Sohn wollte etwas Eigenes, wollte selber etwas erschaffen. Da war doch was mit Costa Rica? 1993 war es so weit. Er wanderte aus. Erste Versuche mit dem Import von Schoggi und Bordeaux waren mässig erfolgreich. Im Rumland Costa Rica konnte die Kundschaft wenig mit diesen mitteleuropäischen Dingen anfangen. Doch dann kam es zu einer Tragödie; der eine Onkel verunglückte, und nach seinem Tod war Vater Rolf alleine mit dem Unternehmen. Der Sohn aber war bereits in Costa Rica heimisch geworden. Familienzusammenführung: Das Baugeschäft wurde verkauft, die Partnerschaft zwischen Vater und Sohn nahm Formen an. Rolf beteiligte sich an den Unternehmungen seines Sohnes, der mittlerweile, wir sprechen von 1995, einen exklusiven Uhrenladen eröffnet hatte. Delikatessen waren weiterhin ein Zweig der Familiengeschäfte, im heimischen St. Gallen fungierte der Cousin Sem als Teilhaber. Appenzeller Käse und Appenzeller Biber wurden über den Atlantik verschifft. Vater Rolf eröffnete eine kleine Pension an der Küste, wurde Gastgeber und Hotelier.
Die kubanische Erleuchtung
Carlos reiste im Jahr 2000 nach Kuba, und der passionierte Zigarettenraucher bekehrte sich zur Puro. Von unermüdlichem, unternehmerischem Eifer getrieben, eröffnete er vor acht Jahren in der unmittelbaren Nähe des Uhrenladens seine Zigarrenlounge. Notabene die erste im Lande. «El mundo de los puros». Doch grad zum Trotz wollte es der Jungraucher nicht mit den alteingefahrenen, kubanischen Brands probieren. Er begann, mit dominikanischen und Zigarren anderer Provenienz zu handeln, rauchte vor, verschenkte, machte Aktionen, erwarb Freunde und eine Vertretung der Davidoff’schen Angebote. Vater und Sohn rauchten, was das Zeug hielt, zur eigenen Freude und zum Staunen der Gäste. Nach und nach etablierte sich eine Kundschaft. Die mit Kunstplakaten aus New York und klassischen, bequemen Loungemöbeln ausgestattete Lokalität entwickelte sich. Ein Herrenklub entstand. Mitgliederbeitrag: jährlich 800 Dollar. Mitgliederstand: 50. Die Nachfrage nach den kubanischen Produkten blieb. Heute finden sich auch die berühmten Namen in den Gestellen des dazugehörigen Zigarrenladens. Die «Erziehung» zur nicht kubanischen Zigarre brachte jedoch auch ihre Erfolge. Avo, Griffin, Perdomo und andere wurden von den Herren Corazza ins Land geholt.
Ein beachteter und gelungener Werbeerfolg war der «Torceador», der Roller eigener Zigarren, der sich vor dem Laden niederliess. Die so entstehenden Zigarren gingen weg wie die sprichwörtlichen warmen Semmel. Der Roller wurde zum Renner, ein zweiter musste eingestellt werden. Der Weg zur eigenen Zigarre, die noch namen- und binderlos war, wurde eingeschlagen. Die Suche nach den richtigen Deckblättern und Füllern beschäftigte die St. Galler für die nächsten eineinhalb Jahre. Es wurde im wahrsten Sinne des Wortes herumgeschnüffelt. Sie mussten selber lernen und das Gelernte sofort umsetzen, bauten ihre olfaktorischen und sensorischen Kenntnisse und Fähigkeiten aus. In den Tabakschuppen und Fermentationsräumen der Tabakwelt Mittel- und Südamerikas. In Nicaragua fand man, was man suchte, und heute fahren Vater und Sohn vier- bis fünfmal im Jahr dorthin, um Materia Prima zu kaufen. Das Familienwappen der Brun del Re wurde aus den Familienarchiven hervorgeholt, gut abgestaubt und in Gold auf Bauchbinden gedruckt. Somit stand auch der Name fest.
Mit erstaunlicher Geschwindigkeit entwickelte sich das Unternehmen. Ein Fabriklein wurde aufgebaut mit allem Drum und Dran. Roller aus Nicaragua wurden eingestellt, Kontrolleure, Buchhalter. Eine eigene Ausbildungsstruktur und eine klare Vorstellung dessen, was man haben möchte, half natürlich, doch an Arbeit mangelte es nicht. 2006 kamen die ersten Zigarren unter dem neuen Label Brun del Re auf den Markt. Füller aus Nicaragua, Deckblätter aus Connecticut, aus Indonesien, aus Costa Rica. Selber erschnüffelt die Geschmacksrichtungen: Premium, Conaisseur, Gold und Colonial. Klassische Formate. Churchill, Torpedos, Robustos. Geschmacklich mit verschiedener Stärke, eigen ist ihnen allen ein cremiger Rauch, eine gewisse Üppigkeit, ja, Grosszügigkeit in Geschmack und Körper.
Die Geleise für den Export und den Verkauf wurden gelegt, die Weichen gestellt. Kein Vertrieb übers Internet, das war eine dieser altmodischen Entscheidungen. Man wollte Farbe bekennen, Gesicht und Persönlichkeit zur Marke geben. Sem hielt nach dem Abwickeln der Delikatessenimporte auch im Zigarrengeschäft seinen Anteil. Cousin Marcello übernahm den Vertrieb in der Schweiz. Nun wurden Klinken geputzt. An den Tabakmessen der Welt tauchte Brun del Re auf. Von den USA nach Dortmund, über Hongkong nach London und Dubai. Carlos reiste mit dem Musterkoffer um die Welt. Die einschlägigen Publikationen wurden auf sie aufmerksam. Das New Yorker Smoke Magazine bewertete 2008 die Churchill der Premium Linie von Brun del Re mit erstaunlichen 90 Punkten. Nun, drei Jahre später, sind es gar 93. Andere zogen nach. Ein reges und freundliches Interesse wurde dem Neuling auf dem Markt entgegengebracht. Djakarta, Singapur und Bangkok, Cocktails wurden veranstaltet und getrunken, jede Menge Hände geschüttelt. Die diversen Geschmackslinien wurden weitherum getestet: Die Testergebnisse sind gut bis sehr gut. (Auch wir rauchten, und sie schmeckten uns gut, siehe Cigar 4/10.)
Der Familienbetrieb
ist Unternehmenskultur
Fast noch wichtiger ist allerdings das Familienkonzept der Corazzas mit dem Produkt. Hätte ich Carlos und Sem nicht höchstpersönlich kennengelernt an der ICPCR in New Orleans, wäre dieser Bericht wohl kaum zustande gekommen. Das «Gesicht» geben, anwesend sein. Rauchen und plaudern mit den Kunden. Wer spricht denn nicht gerne mit dem stolzen Erfinder und Entwickler (s)einer schönen Zigarre? Hier nun, in Costa Rica, ist es wiederum spannend, ihnen bei der Arbeit zuzusehen. In der Fabrik, in der mittlerweile rund 300 000 – jaja, richtig gelesen: dreihunderttausend – Zigarren pro Jahr gerollt und verpackt werden, sind sie genauso präsent wiein der Lounge und im Uhrenladen. Die klassische, hierarchische Unternehmenskultur funktioniert hier noch wie am Schnürchen. Der Patron als patriarchalischer Vertrauter: kein Problem für Vater Corazza. Er braucht sich nicht zu verkleiden, um in diese Rolle zu schlüpfen. Wir reden hier nicht von Finanzkapitalisten, sondern von einem wertkonservativen, liberalen Unternehmer, der seinen Untergebenen Vertrauen schenkt und ihr Vertrauen geniesst. Ist denn mal ein «lätzgfädereter» Mitarbeiter im Team gelandet, muss man halt schauen. Im besten Fall bringt er sich ein und zieht am gleichen Strick oder er muss halt gehen. Der alte Milizoffizier und Baumeister macht zwar schon eins, aber kein langes Federlesen. Im Gegenzug werden die Mitarbeiter überdurchschnittlich gut bezahlt, und wenn der Laden läuft, werden Prämien ausbezahlt. Interne Ausbildung wird gross geschrieben. Das Produkt ist ein gemeinsames. Klar, man habe in Einigem umdenken müssen, es sei etwas anderes als in der Schweiz, heisst es. Diese Herausforderungen wurden offensichtlich mit Freude und Fleiss angenommen.
Die Latte hochgelegt
Wie geht es weiter? Carlos Corazza: «Das Ziel ist es, irgendwann in der Zigarrenwelt das zu werden, was Patek Philippe in der Welt der Uhrenmanufakturen ist.»
Das klingt nicht gerade bescheiden, aber wenn man die an dem Fabriklein angebaute Halle sieht, in der sich in naher Zukunft weitere Arbeitsplätze einrichten lassen, und wenn man
die bisherige Entwicklung betrachtet, scheint dieses Ziel nicht unmöglich zu erreichen. Aber hochgesteckt schon:
Patek Philippe arbeitet immerhin seit 1839 am eigenen Image. Heutzutage geht ja alles etwas «tifiger». Das Familienunternehmen Corazza, vor zwei Generationen aus dem Friaul in die Schweiz eingewandert, ist auf jeden
Fall mit seinem südamerikanischen Betriebszweig auf Erfolgskurs. In den Lagern liegen übrigens einige Trouvaillen. Möglicherweise sind die einen oder anderen limitierten Kistchen bald auf dem Markt. An Ideen fehlt es den Herren nicht, nicht dem Alten und nicht dem Jungen. Auf dem eigenen Land an der Küste wurde bereits eine erste eigene Pflanzung aufgebaut. «Mal luege, was druus wird.»
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